Der Aufstieg der Manager.

Wertewandel in den Führungsetagen der westdeutschen Wirtschaft, 1949-1989

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert wurde der Manager auch in der Bundesrepublik zum Beruf. Die Unternehmensleitungen wurden professioneller, die Ausbildung der Manager systematischer. Bildung und innerbetrieblicher Bewährungsaufstieg und damit höhere Funktionen im unteren und mittleren Management waren vor allem seit den 1960er und 1970er Jahren für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich. Gleichzeitig kam es zu einer internationalen und zu einem großen Teil populärwissenschaftlichen Expansion von Managementwissen durch neue Managementverlage, -zeitschriften und -ausbildungsstätten. Diese Geschichte der Professionalisierung, Verwissenschaftlichung und Demokratisierung des Managerberufs steht im Zentrum der Arbeit. Es sollen anhand der Führungskräfte empirische Antworten auf die Frage nach Idealen und Leitbildern in der Wirtschafts- und Arbeitswelt gegeben werden. Was bedeuten „Arbeit“, „Leistung“ und „Führung“ 20, 30 und 40 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus und Gründung der Bundesrepublik, und welche Rolle spielt dabei der „Wertewandelschub“ der späten 1960er und frühen 1970er Jahre? Welche normativen Konzepte liegen der Wirtschafts- und Arbeitswelt zugrunde, woher kommen sie und wie verändern sie sich? Welche Konflikte um die Benennung und Auslegung der normativen Ordnungen gab es? Konkret gefragt: Wie haben sich vor dem Hintergrund gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels Arbeitsethos, Leistungsvorstellungen und Führungskonzepte verändert?

Zur Beantwortung dieser Fragen verfolgt die Untersuchung vier miteinander verwobene thematische Entwicklungsstränge:

  • erstens die Geschichte der leitenden Angestellten: Anhand dieser Gruppe lassen sich spezifische Aussagen über sich verändernde ökonomische Leitbilder, Führungssemantiken und Arbeitswerte treffen. Den leitenden Angestellten kommt eine Schlüsselrolle zu, weil ihre unternehmensinternen Orientierungskulturen sich sowohl nach „oben“ als auch nach „unten“ richteten: Als Chefs forderten sie Leistung ein und mussten führen, gleichzeitig waren sie selbst weisungsgebunden und mussten ihre eigene Leistung gegenüber dem Unternehmer beziehungsweise dem Vorstand herausstellen. Für die Auseinandersetzungen über Autorität und Führung in der bundesdeutschen Wirtschaft stellen sie somit eine soziale Schlüsselgruppe dar.
  • zweitens die Geschichte der Führungskräfteausbildung: Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen westdeutsche Unternehmer intensiv über die Ausbildung des eigenen Nachwuchses nachzudenken. Nachdem sie noch in den 1950er Jahren eine Amerikanisierung der Managementausbildung und Business Schools nach amerikanischem Vorbild strikt ablehnten, führte vor allem seit den mittleren 1960er Jahren kein Weg an einer Professionalisierung der Führungskräfteausbildung vorbei. Doch wie man Führung lehren sollte, welche Führungsmethoden zu vermitteln seien, blieb umstritten. Gerade deswegen erlaubt der historische Blick auf die verschiedenen Ansätze der Managerschulung einen Zugriff auf die normativen Konzepte von Führung, Leistung und Arbeit. Hier wurde Führungswissen aggregiert, kanonisiert und weitergegeben.
  • drittens die Geschichte von Personalführungskonzepten, Motivationstechniken und Managementmodellen: Seit den 1920er Jahren wurde ausgehend von der amerikanischen Human-Relations-Bewegung auch in den deutschen anwendungsorientierten Arbeitswissenschaften über die ideale Gestaltung der Arbeitsumwelt und die Beteiligung von Arbeitern und Angestellten im Rahmen der betrieblichen Arbeitsorganisation geforscht. Nach 1945, vor allem aber um 1970 änderten sich nicht nur die Antworten der Personalexperten, sondern auch die Bereitschaft der Unternehmer, ihnen zuzuhören und die Ressource Mensch in den Mittelpunkt der betrieblichen Organisation zu stellen. Gerade in Verbindung mit der Geschichte der leitenden Angestellten und der Geschichte der Führungskräfteausbildung erlaubt diese wissensgeschichtliche Perspektive neue Aussagen über den schon länger vermuteten Wandel von einer autoritär-diszipliniert-kontrollierten zu einer vertrauensvoll-motivierend und auf Selbstverantwortung setzenden Arbeitswelt.
  • viertens die Konfliktgeschichte zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit: Was Führung zu sein hatte und wie Leistung eingefordert und begründet wurde, konnten schon bald die Unternehmer nicht mehr allein entscheiden, sondern die Diskussion wurde von einer zunehmend kritischer werdenden Öffentlichkeit und sich verändernden politischen, arbeitsrechtlichen und medialen Rahmenbedingungen begleitet. Gelang es den westdeutschen Unternehmern nach 1945 relativ schnell, aus der gesellschaftlichen Defensive herauszukommen, wurde im Laufe der 1960er Jahre der Legitimationsdruck durch Wissenschaft und Gesellschaft wieder größer. Dieser verstärkte sich in den 1970er Jahren durch Mitbestimmungsdiskussion und Kritik der „neuen Linken“. Die Strategien der Unternehmen, auf diese Öffentlichkeit nicht nur zu reagieren, sondern an der Formierung einer speziellen Wirtschaftsöffentlichkeit aktiv mitzuwirken und so dem Vertrauensverlust des Kapitalismus entgegenzuwirken, sind besonders aufschlussreich. Es zeigt sich, dass die alten Legitimationsstrategien um 1970 aus unterschiedlichen Gründen in eine Krise gerieten und es neuer Leitbilder bedurfte, bis auch diese um 1980 erodierten und der „Geist des Kapitalismus“ sich erneut wandelte.

Kontakt: Dr. Bernhard Dietz
E-mail: dietzb@uni-mainz.de