Radikaler Konservatismus im Europa der Zwischenkriegszeit
In der Zeit der Weimarer Republik agitierten eine Vielzahl von rechtskonservativen Intellektuellen gegen Republik und Demokratie. Die Erforschung dieser politischen Strömung wurde in der alten Bundesrepublik und DDR zu einem lange Zeit äußerst produktivem, schillerndem und umkämpftem Gebiet der deutschen Geschichtswissenschaft. Gemeint ist damit die „Konservative Revolution“, also jene antiliberale Denkrichtung in der Weimarer Republik, die in ihrer Radikalität über den klassischen Konservatismus hinauswies, aber andererseits keineswegs deckungsgleich mit dem Nationalsozialismus war. Ihrem Selbstverständnis nach sahen sich die Autoren der „Konservativen Revolution“ als Verkünder eines spezifisch deutschen Weges, der der Entwicklung des Westens diametral gegenüber stand. Die Identifikation von liberaler Demokratie als System des Siegers gab der Demokratiekritik der deutschen „Konservativen Revolution“ ihre aggressive Dynamik. Verlorener Krieg und gedemütigter Nationalstolz waren zwar Gründe für die Radikalität und den Erfolg dieser Form des Antiliberalismus – nicht jedoch Bedingung für seine Existenz.
Denn die Herausforderung der parlamentarischen Demokratie durch einen radikalisierten Konservatismus war in der Tat ein europäisches Phänomen der Zwischenkriegszeit. Während die vergleichende Faschismusforschung von einem gesamteuropäischen Phänomen des Faschismus zwischen den beiden Weltkriegen ausgeht und diese Perspektive sich, trotz der sich dabei ergebenden Probleme, als sehr fruchtbar, gerade für die Identifikation der nationalen Unterschiede des Phänomens, herausstellte, ist die europäische Dimension der Konservativen Revolution bisher kaum berücksichtigt worden.
Gerade aus deutscher Perspektive ist der vergleichende Blick auf die europäische Zwischenkriegszeit umso interessanter. Denn nur komparative Studien vermögen letztlich zu klären, „in welcher Gewichtung deutsche Besonderheiten und gemeineuropäische Phänomene zur katastrophischen Verschärfung der Modernisierungskrise Anfang der dreißiger Jahre beitrugen.“ Der europäischen Dimension der „Konservativen Revolution“ wird man jedoch nicht nur mit dem Vergleich gerecht. Denn auf der politischen Rechten gab es in der Zwischenkriegszeit einen regen Austausch und Transfer von Ideen und Ideologemen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Verbindungen, Ideentransfers und Kooperationen es zwischen den rechtskonservativen Bewegungen Europas gegeben hat. Hatte etwa der Publizist und Romanist Ernst Robert Curtius recht, als er 1927 T.S. Eliot, Charles Maurras und Hugo von Hofmannsthal zusammen als Vertreter einer „konservativen Revolution“ im Sinne eines „westeuropäischen Gesamtvorgangs“ bezeichnete?
Transnationale Untersuchungen, die nicht nur ideengeschichtlich den Transfers von Theorien und Ideologemen nachgehen, sondern auch die internationalen Netzwerke untersuchen, können hier neue Erkenntnisse bringen. Dass es in der Tat organisatorische Versuche einer „Internationale der Nationalisten“ gab, zeigt etwa der Convegno Volta Kongreß in Rom 1932. Die leitende Frage lautet hier: Wie verliefen die transnationalen Transfer- und Kommunikationsprozesse innerhalb der europäischen radikalen Rechten? Welche Möglichkeiten und Grenzen des internationalen Austauschs boten sich für radikale Konservative im Europa der Zwischenkriegszeit?
Eine transnationale Untersuchung des radikalen Konservatismus der Zwischenkriegszeit muss daher über „traditionelle“ Rezeptionsanalysen hinausgehen und nach den Verflechtungen und transnationalen Netzwerken, wie etwa um Zeitschriften wie die Europäische Revue des jungkonservativen „Europäischen Kulturbunds“ oder T.S. Eliots Criterion, fragen. Gerade hier sind europäische Netzwerke nicht nur Mittel zum Zweck, sondern bereits Ausdruck eigener Europavorstellungen: von den ständischen und hierarchisch-neoaristokratischen Vorstellungen der Europäischen Revue bis zu der christlich-abendländischen Europavision, wie sie etwa von britischen Neo-Tories propagiert wurde. Bei vielen dieser Autoren diente Europa als Chiffre für die Anti-Moderne. Europäisches Bewusstsein bedeutete hier die Teilhabe an einer als gesamteuropäisch wahrgenommenen Bewegung gegen die Ideen und politischen Implikationen der Aufklärung. Der Publizist Douglas Jerrold schrieb 1938: „The battle between the ideas of 1789 and those of the Counter-Revolution will be fought to a finish in the lifetime of many living, and the results of the struggle will be decisive in Europe for several generations.“ Europa als Projekt der radikalen Rechten – dies ist ein Teil der Geschichte Europas, den es noch zu untersuchen gilt.
Abgeschlossen:
Jonas Breßler, Der verlängerte Arm Francos? Die Friends of Nationalist Spain und die britische Außenpolitik im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939). (Masterarbeit)
Bernhard Dietz, Neo-Tories: The Revolt of British Conservatives against Democracy and Political Modernity, 1929-39, London 2018.
Bernhard Dietz, "Conservative Revolution" in Europe? Radical Conservatism in a Transnational Perspective, 1918-1939. Introduction, in: Journal of Modern European History 1 (2017), S. 36-47.
Bernhard Dietz, The Neo-Tories and Europe: A Transnationale History of British Radical Conservatism in the 1930s, in: Journal of Modern European History 1 (2017), S. 85-108.
Bernhard Dietz, Christliches Abendland gegen Pluralismus und Moderne: Die Europa-Konzeption von Christopher Dawson, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 9 (2012), H. 3, S. 491-497.
Bernhard Dietz, Neo-Tories. Britische Konservative im Aufstand gegen Demokratie und politische Moderne (1929-39), München 2012.
Bernhard Dietz, „Sterilisation of the Unfit“: Eugenikbewegung und radikale Rechte im Großbritannien der „Lost Generation“, in: Regina Wecker (Hg.), Wie nationalsozialistisch ist die Eugenik? Beitrag zur Geschichte der Eugenik im 20. Jahrhundert, Wien 2009, S. 187-198.
Bernhard Dietz, Countryside-versus-City in European Thought. German and British Anti-Urbanism between the Wars, in: The European Legacy: Towards New Paradigms 13 (2008), S. 801-814.
Bernhard Dietz, Gab es eine „Konservative Revolution“ in Großbritannien? Rechtsintellektuelle am Rande der Konservativen Partei 1929-1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54 (2006), S. 607-638.
Kontakt: Dr. Bernhard Dietz
E-Mail: dietzb@uni-mainz.de